Eye-Poetry #2 – den Frühling skizziert

Und schon kommt die zweite Runde „Eye-Poetry“.

Auch dieses Mal hat das Gedicht, das Andrea ausgewählt hat, erst einmal Widerstand oder widersprüchliche Gefühle in mir ausgelöst.


Das ist das Gedicht von Rainer Maria Rilke, das uns im Februar herausfordert:

Will Dir den Frühling zeigen,
der hundert Wunder hat.
Der Frühling ist waldeigen
und kommt nicht in die Stadt.

Nur die weit aus den kalten
Gassen zu zweien gehn
und sich bei den Händen halten –
dürfen ihn einmal sehn.
Rainer Maria Rilke

Da behauptet Herr Rilke doch einfach , dass der Frühling nicht in die Stadt kommt, sondern nur im Wald erlebt und entdeckt werden kann. Und dann geht er noch weiter, und gesteht die Entdeckung des Frühlings nur denen zu, die sich zu zweit und Hand in Hand in den Wald aufmachen. Das ist ja schon echt unerhört!

Ich wohne in der Stadt, also genauer gesagt am Stadtrand, inmitten von Gärten und in Waldnähe. Da kann man den Frühling entdecken, geniessen und die Entwicklung und Fortschreitung des Frühlings beobachten – und zwar ganz alleine, ohne Hand in Hand. Dort kann ich im März morgens dem immer stärker anschwellenden Vogelkonzert zuhören, im Frühjahr ein Genuss. Naja, bis vor einiger Zeit, in den letzten Jahren sind einige große Bäume verschwunden und die Vögel haben sich etwas weiter weg platziert, erst diese Woche ist mir aufgefallen, dass ich morgens kein immer mehr anschwellendes Vogelkonzert mehr höre, sondern eher einzelne Vögel, was ich sehr schade finde.

Rilke hat Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gelebt. Damals haben sich die Städte vermehrt zu Industriestädten entwickelt und für Bäume, Natur und Frühlingsgenuss war da wahrscheinlicher eher wenig oder gar kein Raum. Da musste man dann aus der Stadt heraus in den Wald und die Natur gehen. In der Stadt in der ich wohne, gibt es beispielsweise ein Strasse, die über mehrere Kilometer geht. Dort gibt es keinen einzigen Baum, nur Häuser, Fassaden, Strasse, Asphalt. Wenn sich schon in meiner Gartenumgebung das Vogelkonzert verändert hat, weil einige Bäume nicht mehr da sind, dann kann man den Frühling in solchen Strassen sicher nur erahnen. Und die Stadt zu zweit zu verlassen war wohl auch sicherer als alleine. Da bin ich dann doch wieder eher versöhnt mit Rilkes Worten.

Hundert Frühlingswunder gesammelt – die ersten 50 sind fertig.

Die nächsten 50 stehen in den Startlöchern.

Der Frühling kommt doch auch in die Stadt.

Alles fertig? Dann kann das Vogelkonzert beginnen.

Diesmal belasse ich es einfach bei der Skizze.
Danke liebe Andrea, für dieses interessante Gedicht.
Wenn mir jemand einfach das Thema Frühling gestellt hätte, wäre ich vielleicht an meinen viele Frühlingsfotos hängengeblieben. Das Gedicht hat mich herausgefordert, mich zuerst darüber ärgern zu dürfen und dann einfach mal ganz anders umzusetzen.

Viele Grüße
Angelika


Das war mein Beitrag zur Eye-Poetry #2 im Februar, einem Projekt von Andrea auf Holunder, dort kann man sich von weiteren Frühlingsinspirationen begeistern lassen.

Von Angelika

7 Kommentare

  1. Ich bin immer wieder über die Diversität der kreativen Interpretationen begeistert. Ja, man kann ein Gedicht interpretieren und sich inspirieren lassen, wenn man es eigentlich ablehnt oder sich dran stößt. Etwas, was mich schon zu Schulzeiten versöhnt hat (wir hatten damals auch schon recht aufgeschlossene LehrerInnen ;-).
    Spannend, wie Du über die städtische Situation zu Rilkes Zeiten, dich annähern konntest.
    Der Frühling holt hier gerade kurz Luft bzw. Regenwasser, um dann wieder aufs Neue loszulegen. Da gibt es bestimmt 50 weitere Frühlingsfreuden für Dich!
    Liebe Grüße
    Andrea

    1. Die Gedichte inspirieren mich, wie schon lange nichts mehr.
      Mich mit dem Text zu befassen, auseinanderzusetzen, dann zu interpretieren, umzusetzen.
      Viele Grüße
      Angelika

  2. Ja, der Herr Rilke – der hat schon so seine eigenen Ansichten damals gehabt, nicht wahr? Vielleicht hat er sich einfach nur nach dem Frühling und einer Liebelei gesehnt 😉 Deine Skizze ist wunderbar vielfältig.. ein schönes frühlingshaftes Sammelsurium. Liebe Sonntagsgrüße, Nicole

    1. Ja, … auf jeden Fall bekomme ich dabei noch mehr Lust, mich mit dem Text und auch dem Dichter zu beschäftigen.
      Viele Grüße,
      Angelika

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